Vers l'extase.  Eine multimediale Performance mit Klavier, Tanz, Lichtkompositionen und Rezitation.

Aufgeführt am 22.11.2019 im Resonanzraum Hamburg.

 

Fabian Gehring,  Klavier und Konzeption

Ricardo Urbina, Tanz

Jan Wegmann,  Lichtkomposition, Multimedia

Joachim Rosenkranz,  Autor, Rezitation

Tim Cecatka, Ricardo Urbina,  Choreographie


Nachstehend die beiden von mir für die Aufführung verfassten Texte:

 

 

 Aleksandr Skrjabin

 

Le poème de l'extase

in einer Nachdichtung von Joachim Rosenkranz

 

Ecstasy

 

Gedankenkitt

will Leben trinken, entballt sich,

schwingt sich hoch und

weit hinein, weit, weit ins große

NEIN.

 

Nichts ist da mehr, nur traumbeleuchtet

eine Gegenwelt. Homunculi, Emotionalien.

Hier also spielt das Denken mit sich selbst

und wünscht sich, flüssiger zu werden,

Erblühen sähen gar und sich vergessen wieder;

alles; ganz.

 

Doch plötzlich:

Musik mit völlig ungezähmten Rhythmen,

verdunkelten Gedanken gleich,

wirft Riesenschatten auf die Gegenwelt,

dies fiese Nein-Terrain.

Zum Glück jedoch nur kurz, denn —

das muss man wissen — Gedanken

können atmen, tief, sehr tief sogar,

und fort sind allsogleich der Töne Spuk

und Rhythmen.

Liebesgeist, Freudensaft, Blütenfluss

lieg'n ausgebreitet da nun

auf dem Büffet des Denkens,

das sich dazu den Cocktail

braut und ihn "Ekstase" nennt

und gierig runterstürzt.

 

Der Geist kann also durchaus tanzen, kopulieren, wirbeln,

sogar sich zu verlieren wünschen kann er,

auch dieses gründlich dann

und ganz.

 

Doch leider, leider ist es so,

dass wenn er unscharf wird,

der Geist, dann wird

sein Abgrund auch erkennbar,

und eben von da unten,

tiefer noch als tief,

dringt jetzt ein Höllenlärm herauf,

gemacht von ungestalten Wesen,

amorph und hemmungslos, ein Krach,

der alles zu verschlingen droht.

 

Woran denn aber

leidet nun

das Denken und

Warum?

Es ist das Zweifeln,

seine Stärke eigentlich, mit dem

das Denken selbst sich quält; sogar

die Liebe wird zur Qual ihm.

Verrückt: Obwohl ringsumherum

von seinen blühendsten Gedanken fein um-

geben, ruft er, der Geist,

nun dazu auf, sie möge

endlich stille steh'n,

die ganze Superdenkmaschine,

sofort,

für immer, aus und Schluss.

Und er gleich mit.

 

Doch plötzlich …

Sind sie wieder wach,

der Geist, das Denken,

hellwach, wie Licht.

Und schon sind auch

die Rhythmen wieder da,

doch diesmal schäumen sie

vor Freude. Licht fällt

nun auch

auf Hoffnung neu

und macht sie hell, so hell,

dass Leben lebenswert

erscheint, erstrebenswert sogar

dem Geist.

 

Er hat begriffen: Es gibt 'was Höheres als ihn,

viel höher noch

und stärker auch, so stark,

dass nun, mit diesem allerhöchsten

Willen aufgeladen, der Geist

sich in die Tiefe wagt,

die fürchterliche, rhythmisch un-

gestalte, bodenlose.

"Hier bin ich", wird er zornig rufen,

"kämpfe, wer da mag und kann!

 

So dieser Geist, und so mein Denken.

 

Aleksandr Skrjabin Op. 50, Nr. 1

ein Text dazu von Joachim Rosenkranz

 

Fragilité

 

Wir stoßen uns,

wir stoßen uns an,

wir stoßen vor,

wir stoßen aneinander,

wir schubsen uns vorwärts.

 

Manchmal nehmen wir uns

auch an den Schultern und

balancieren über Pausen hinweg.

 

Wir solidarisieren uns  

im Klang.

 

Wir küssen den erreichten Moment,

müssen aber gleich wieder weiter,

denn

wir sind Töne, die

nicht zerbrechen wollen,

dünnwandig

wie wir sind.

 

Alle Melodien

haben wir längst

hinter uns

gelassen, nur ein paar dürfen

noch zwischen uns

nisten, wenn wir uns vorwärts tasten

an noch zu bezwingenden

Klanggebirgen.

 

Fragilité, hat man

uns genannt, Tonketten              

sagen wir lieber mit Rissen

und mit Vorbehalten,

weil wir ja nicht bleiben

wollen, nirgends,

und nichts halten.

 

Das ist auch

der Grund,

warum wir es

so sehr
lieben, am Ende

einfach nur sanft

zu verklingen,

grad' so,
      als hätt' es

            uns gar nicht

                  gegeben.